Sächsische Zeitung vom 22.03.2024

 

Viele Grüße nach Ebersbach! Susanne Plecher

 

 

Tom Müller (Name geändert), 40 Jahre, Selbsthilfe im Oberland e.V.: „Das Cannabis hatten wir vom Schwarzmarkt über Freunde bezogen. Bei uns in der direkten Grenzregion zu Tschechien war das damals (1998. A.d.R.) schon flächendeckend verbreitet. Jedes Wochenende hat man sich getroffen, mit den Kumpels Pfeife oder Joint geraucht, gelegentlich Alkohol dazu getrunken. Der Rausch war benebelnd und beruhigend. Depressionen oder Halluzinationen hatte ich damals noch nicht. Es hat nicht lange gedauert, da kamen andere schädigende Substanzen dazu, Ecstasy, Crystal, Pilze. Wir haben alles ausprobiert, was da war. Es gab ja alles. Wir hatten das verharmlost und keinen Respekt davor. Die Märkte sind so strukturiert, dass der Einstieg über Alkohol erfolgt, dann kommt Stück für Stück alles Weitere dazu.

 

Meine schulischen Leistungen haben nachgelassen, ich war liederlich, faul, unpünktlich, hatte Probleme mit der Konzentration. Ich hab das Gymnasium im ersten Halbjahr der neunten Klasse geschmissen und dann einen Realschulabschluss gemacht und mit drei bestanden. Das hatte ich immer im Hinterkopf, dass ich die Ausbildung nicht völlig vernachlässige und wenigstens mit drei mache. Dass man sagt: „Das ist kein Guter, kein Schlechter.“ So habe ich es dann auch mit meinen beiden Ausbildungen gehalten.

 

Man denkt immer: Ich hab es im Griff. Aber das stimmt nicht. Der Körper braucht das, es wird immer mehr. Ich war mittelschwer suchtkrank, bin nie komplett abgerutscht. Gedealt habe ich nie, das hätte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren können. Aber ich hatte falsche Freunde, bin von ihnen auch bemaust worden.

 

Der Suchtdruck nahm dann auch unter der Woche zu. Ich habe Stimmen gehört, die gar nicht da waren, konnte nachts schlecht schlafen, bin depressiv geworden. Dann hat sich meine Freundin von mir getrennt und die ersten Freunde abgewendet. Ich hab gemerkt: Jetzt bist du suchtkrank. Ich musste die Reißleine ziehen. In der Klinik in Großschweidnitz habe ich gleich einen Therapieplatz bekommen. Vier Wochen war ich dort. Zuerst wurde ich mit Tabletten ruhig gestellt, dann gab es viele Gespräche. Die Entgiftung hat mir körperlich keine Probleme bereitet, aber ich war psychisch abhängig. Danach musste ich sechs Monate warten, bis ich in Langzeittherapie gehen konnte. Dafür war ich ein halbes Jahr in Eiberbach bei Heidelberg.

 

Mit den Drogen habe ich damals (2006, A.d. R.) gleich aufgehört. Alkohol, vor allem Bier habe ich aber noch getrunken, geraucht habe ich auch. Ich war noch nicht auf der Stufe, das alles lassen zu können. Seit zwei Jahren bin ich jetzt komplett trocken. Ich habe dann sehr zurückgezogen gelebt, hatte meine eigene Wohnung, nur wenige Kontakte, war mit mir beschäftigt. Das ging vier bis fünf Jahre, in denen ich arbeitslos war. Danach konnte ich zu meinen Eltern ein offeneres Verhältnis aufbauen. Mein Vater hat mich zurückgeholt auf unseren Hof, wo ich für mich und meinen Bruder Wohnungen ausgebaut habe. Ich arbeite jetzt im Saisonbetrieb in der Gärtnerei meines Onkels. Meine Familie hat mir Kraft gegeben. Aber ich nehme gegen meine Psychosen immer noch Medikamente. In Absprache mit meinem Arzt will ich sie jetzt ausschleichen lassen.

 

Die Drogen haben meine persönliche Entwicklung verändert, meine Entfaltung minimiert. Ich wäre jetzt ein Anderer, hätte ein besseres Leben, wäre fähiger in allen Sachen. Ich wäre schneller, agiler, gesünder. Heute weiß ich, dass es viel mehr Vorteile hat, clean zu bleiben. Für den Körper und für den Geist, man ist wacher, immer da, kann sich jederzeit ins Auto setzen, hat viel mehr Bereitschaft. 

 

Ich finde die Legalisierungspläne der Regierung sehr gefährlich. Der Schuss geht nach hinten los. Das gepanschte Cannabis auf dem Schwarzmarkt wird immer preiswerter bleiben als das, was es legal zu kaufen geben wird. Jugendliche werden es aus meiner Sicht immer verheimlichen, dass sie kiffen. Aber wenn sie erstmal soweit sind, sinkt die Hemmschwelle, etwas anderes auch mal zu probieren.“  

 

Freundliche Grüße 

 

Susanne Plecher

 

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